öffentlichen raum neu denken

ium-Blog

Befreiung der Städte: Die gleiche (Auto-)Mobilität mit nur 3% der Fahrzeuge?

Flotten selbstfahrender Fahrzeuge revolutionieren die urbane (Auto-)Mobilität
Flotten selbstfahrender Fahrzeuge revolutionieren die urbane (Auto-)Mobilität

Das selbstfahrende Auto kommt in greifbare Nähe. Aber wenn du jetzt an ein Auto ohne Lenkrad denkst, dann denkst du viel zu kurz. Da „Auto“ so altmodisch klingt verwenden wir beim ium lieber den Begriff „Mobi:Kapseln“. Stellt euch eine Flotte von 10.000 oder auch 40.000 gläsernen, kugelförmigen Fahrzeugen in einer Großstadt vor, die überall und jederzeit verfügbar sind. Mobi:Kapseln kommen per Knopfdruck auf der App, parken automatisch und fahren voll elektrisch. Sie sind eine Kombination aus dem privaten Pkw, dem Taxi, Car-Sharing, Ride-Sharing (Trampen bzw. Mitfahrgelegenheit) und gering ausgelasteten Bussen.

Nicht nur wegen der Anschaffungskosten, schon allein wegen der Verfügbarkeit wo immer du gerade bist wird in 10 bis 20 Jahren niemand ein Interesse daran haben, sich privat eine Mobi:Kaspel zuzulegen. Genauso wenig, wie heute jemand auf die Idee käme, sich beim Skifahren eine eigene Sessellift-Gondel zu kaufen. Die Betreiber der Mobi:Kapsel-Flotten werden ein großes Interesse daran haben, ihre Fahrzeuge gut auszulasten und mit möglichst wenigen Fahrzeugen möglichst viel Mobilität anzubieten.

Wenn eine Mobi:Kapsel am Tag rund acht Stunden fährt und durchschnittlich gut zwei Personen mitnimmt, dann entspricht das der gleichen Mobilität wie heute private Pkw in Berlin erreichen, mit nur 3% der Fahrzeuge. 29 von 30 heutigen Pkw-Stellplätzen und etwa die Hälfte des heutigen für Pkw genutzten Straßenraums werden dann frei für attraktive urbane Nutzungen. Gemeinsam mit der Agentur xoio, die viele Projekte für die Autoindustrie macht, haben wir "mobuno" als visionären Prototyp der Mobi:Kapsel entwickelt. Download Konzept


Schöneres Parken – eine bessere Stadt für alle

Drittes Untergeschoss der Mall of Berlin an einem Freitagabend
Drittes Untergeschoss der Mall of Berlin an einem Freitagabend

Parken am Straßenrand ist nicht schön. Schon allein das Einparken ist blöd. Und dann steht das Auto schäbig und ungeschützt am Straßenrand. Kratzer und Lindenblüten sind die Folge, vor allem wenn es lange rumsteht. Von der nervigen Parkplatzsuche ganz zu schweigen. Die Berliner Stellplatzsatzung in Kombination mit Gratis-Parken in mehr als 90% des öffentlichen Raums führt jedoch dazu, dass wir Berliner diese ziemlich unattraktive Parkform toll finden. Nur für den öffentlichen Raum ist es nicht so toll, wenn fast alle Straßen in erster Linie als riesige Parkplätze genutzt werden.

Nun leidet Berlin glücklicherweise nicht unter Platzmangel und das ium hat sich zur Aufgabe gemacht, ungenutzte Parkräume sichtbar zu machen. Denn in Berlin sind viele Parkhäuser schlecht ausgelastet. Eine Aufzugsfahrt ins dritte Untergeschoss der Mall of Berlin offenbart: Eine komplette Parkebene absolut leer. Das UG2 ebenfalls recht leer. Die Mall hingegen voll, an einem Freitagabend gegen 18 Uhr. In Neukölln gegenüber dem Stadtbad die gleiche Situation. Im Parkhaus über 100 Plätze leer, natürlich zahlt niemand gerne zwei Euro pro Tag, wenn es in der Straße nebenan gratis ist. Ergebnis in den umliegenden Straßen ist massiver Parkdruck, Chaos, viel Aggressivität. Ein Blick nachts auf die Parkplätze von Discountern: alles frei. Berlin hat kein Parkplatzproblem sondern ein Parkproblem.

Durch intelligente Kooperationsmodelle zwischen den Bezirken und privaten Parkplatzbetreibern könnten die nach ium-Schätzungen über 80.000 ungenutzte Stellplätze für Langzeit-Parkende erschlossen werden. Dort steht der eigene Pkw sicher und überdacht, und man findet sofort einen Platz. Gleichzeitig würde viel urbaner Raum für attraktive Nutzungen frei. Nachts, wenn Anwohner einen Parkplatz suchen, stehen vor den rund 1.000 Berliner Discountern weitere geschätzte 50.000 Stellplätze leer, die ideal sind für Übernacht-Parken. Damit wird auch für Kurzzeit-Parkende, die nur kurz einen Coffee-to-go holen oder Brötchen kaufen wollen oder Einkaufs-Parkende, die eine Stunde lang shoppen die Situation deutlich verbessert, denn künftig wird es vor den Läden immer freie Parkplätze geben. Durch intelligente Kooperationen ist ein Win-Win-Effekt für alle Beteiligten möglich, sofern der politische Wille vorhanden ist. Download Konzept


Die Post-Corona-Ära – Rückblick aus dem Jahr 2025

Ein kleine Virus hat die Globalisierung ausgebremst
Ein kleines Virus hat die Globalisierung ausgebremst

Heute, im Jahr 2025, schauen wir manchmal mit Erstaunen zurück auf die Corona-Krise, die unser Leben und Wirtschaften drei Jahre lang nachhaltig verändert hat. Die Welt hatte genau zum Jahreswechsel von 2019 auf 2020 den Höhepunkt der Globalisierung erreicht. Im Rückblick wirkt die damalige Zeit völlig überdreht. Kreuzfahrtschiffe mit 5.000 Passagieren, Flüge nach Malle für 20 Euro übers Wochenende, Autos mit 250 PS, die wichtiger waren als Menschenleben. “Social distancing“ war anfangs die Lösung, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Dies führte zu einem drastischen Rückgang des Verkehrs, als Nebeneffekt. Die anfängliche Sorge um zusammenbrechende Lieferketten erwies sich schnell als unbegründet, denn die Regale in den Supermärkten waren weiterhin voll, von einigen kleinen Engpässen wie beim Klopapier abgesehen, die an Hamsterkäufen und nicht an Lieferschwierigkeiten lagen. Als dann auch Strom und Wasser weiterhin wie gewohnt und zuverlässig aus der Leitung kamen schlug meine anfängliche Sorge in ein eher beschwingtes Gefühl um, das ich bis heute nicht richtig beschreiben kann. Die Arbeit im Home Office sparte mir eine dreiviertel Stunde Arbeitsweg ein. Wenn mittags schönes Wetter war bin ich spazieren gegangen und habe dafür abends gearbeitet, es war ja eh nicht viel los.

Wegen des kleinen Coronavirus, das sich wegen der globalen Vernetzung mit dem überbordenden Verkehr rasant über den Globus ausbreitete, sah sich eine Regierung nach der anderen gezwungen, das ganz große Hamsterrad, in dem sich die meisten von uns befanden, auszubremsen. Anfangs gab es die Diskussion, ob nicht die Wirtschaft relevanter sei als ein paar mehr Menschenleben zu retten. Corona hat letztlich den Mensch eindeutig über die Wirtschaft gestellt, und zwar so deutlich wie nie zuvor in 200 Jahren Industrialisierungsgeschichte. Dank einer Politik, die dem Rat der Wissenschaftler und Virologen gefolgt ist. Die Zukunftsängste um Arbeitsplätze wurden den Menschen mit unglaublichen Summen staatlicher Gelder genommen - im Grunde hat Deutschland innerhalb von wenigen Tagen eine Art Grundeinkommen eingeführt, auch wenn es bis heute nicht so genannt wird. Mehr und mehr Menschen fanden Gefallen an der neuen Lebensweise: leere Kalender, mehr Zeit für die Kinder, Joggen und Spaziergänge im Park, viel weniger Stress. Erstaunlich gut funktionierten die vielen Telkos und Vikos, und bis auf die früher fast täglichen Massenveranstaltungen waren kleinere Treffen mit Freunden und Familie weiterhin gut möglich, natürlich auf Abstand und bei Bedarf mit Maske. Heute wirkt es fast komisch, dass wir uns früher zur Begrüßung immer die Hand gegeben haben. Ein Hallo und nettes Winken sind jetzt Normalität, und vor allem haben wir dank der Hygiene auch viel seltener normale Erkältungen.

Da die Menschen die Straße und kurze Wege wieder für sich entdeckt haben wurden im Sommer 2020 weltweit in vielen Großstädten temporäre Radspuren auf Hauptstraßen und tausende von Spielstraßen eingerichtet. Einige Städte haben ihre ganze Innenstadt vom Autoverkehr befreit. Da alle davon profitierten, vor allem auch die kleinen Läden, die bald mehr Kunden hatten als vor Corona, gab es nur vereinzelte Widerstände dagegen. Die Leute wollten Anfang der zwanziger Jahre immer mehr davon. Heute sind wir dabei, aus diesen ursprünglich temporären Bereichen wunderschöne Mobilitäts- und Aufenthaltsflächen zu schaffen. Mit Blumenkübeln, vielen neuen Bäumen und Bänken. Weder die Umweltverschmutzung der 1980er Jahre noch die Klimabewegung der 2000er, sondern das Coronavirus aus dem Jahr 2020 hat letztendlich die Verkehrswende in den Städten ermöglicht. Auch dank Corona hat die Autoindustrie, die ohnehin mit ihrer dramatischen Überproduktion kurz vor dem Kollaps stand, quasi in letzter Minute die Kurve gekriegt und die Transformation rasant schnell vollzogen. Heute floriert in den Städten neben dem klassischen Umweltverbund das autobasierte Sharing, das mit einem zwanzigstel der Autos auskommt, größtenteils betrieben von ehemaligen Autokonzernen. Die stark geschrumpfte Lufthansa betreibt inzwischen ihre beliebtesten Verbindungen auf Schienen, der Lufthansa-Sprinter von Berlin nach München braucht nur 3 Stunden und 20 Minuten. Berlin hat 2022 schließlich als erste deutsche Großstadt die Freie-Straßen-Prämie (FSP) eingeführt, so dass die Straßen endlich freiwillig von den überall herumstehenden Autos befreit wurden. Alles in allem führen wir heute im Rückblick auf die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 ein viel schöneres und entspannteres Leben.


Berlin hat sich gedreht: Der Volksentscheid Fahrrad und sein Erfolgsgeheimnis

Aktion „Bärchen gegen Brummis“ an der Leipziger Straße
Aktion „Bärchen gegen Brummis“ an der Leipziger Straße

„Glaube immer daran, dass eine kleine Gruppe überzeugter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich war es nie anders.“ – Margaret Mead (Anthropologin). Der Volksentscheid Berlin wollte zwar nicht die ganze Welt verändern, aber Berlin. Der ium-Gründer Tim Lehmann veröffentlichte für die ADFC-Stadtteilgruppe Friedrichshain-Kreuzberg im Sommer 2015 ein Ideenpapier für die ganzheitliche Entwicklung des öffentlichen Raums. Darin ist von einem Volksbegehren in Sachen Fahrrad die Rede. Ähnliche Ideen hatte auch Heinrich Strößenreuther, Gründer der Initiative clevere Städte. Denn die Berliner Verkehrspolitik hatte sich unter Rot-Schwarz in einer Sackgasse verfahren, die Situation auf den Straßen Berlins wurde von Jahr zu Jahr unerträglicher. Aggressivität und Unfälle häuften sich spürbar. Der Trend zum Fahrrad als schnellstes und unkompliziertestes Alltagsverkehrsmittel führte in Berlin zu einem stark steigenden Radfahreranteil. Häufig nicht oder unzureichend vorhandene Radspuren drängen Radfahrer zu Konflikten mit dem Fuß- und Kfz-Verkehr oder mit dem ÖPNV.

Ende 2015 fanden immer mehr Engagierte zusammen, die die Situation in Berlin basisdemokratisch verbessern wollen. Die gemeinsame Vision entsteht, dass sicheres und komfortables Radfahren für alle Menschen ermöglicht werden soll, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, stark oder schwach. In zahlreichen Workshops entstanden 10 Ziele, die in einen Gesetzesentwurf – das Berliner Radgesetz (RadG) einflossen. Von Anfang an stand ein ganzheitlicher Mobilitätsansatz im Vordergrund. Das Fahrrad sollte niemandem etwas wegnehmen, sondern vielmehr durch seinen geringen Platzverbrauch und seine Effizienz den Verkehr und die Mobilität für alle verbessern. Als „Berlins größtes Anti-Stau-Programm“ fand sich daher auch eine breite Unterstützung von Autofahrenden.

Nach anfänglichem Knirschen fanden sich die relevanten Verbände des Umweltverbunds zusammen, um den #Radentscheid gemeinsam zu unterstützen. Im ersten Schritt zum Volksentscheid – der sogenannten Volksinitiative sammelten mehr als 1.000 engagierte Berliner in nur dreieinhalb Wochen 105.000 Unterschriften für den Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens. Fünfmal mehr und achtmal schneller als erforderlich. Es war spürbar der Beginn einer großen Bewegung. Inzwischen ist der #Radentscheid ein integraler Teil der Berliner Klimastrategie und wird von der neuen Rot-Rot-Grünen Koalition aktiv umgesetzt. Bis Mitte 2017 soll der Radverkehrsteil des Berliner Mobilitätsgesetzes verabschiedet sein. Die 10 Ziele des Radentscheids


Alternative Fakten in der Mobilität – was sollen wir glauben?

Pinocchio hat man seine Lügen leicht angesehen. Lobbyisten sind deutlich professioneller
Pinocchio hat man seine Lügen leicht angesehen. Lobbyisten sind deutlich professioneller

Alternative Fakten, Lügenpresse, Trump und Erdogan sind in aller Munde. Wir erleben gerade eine Welt, in der mit gebetsmühlenartiger Wiederholung von Halbwahrheiten Wahrnehmungen und Wertvorstellungen geprägt werden. Über wenige Jahre wird dadurch in weiten Teilen der Gesellschaft ein Glaube an bestimmte Dinge erzeugt. Das Schüren von Ängsten oder verheißungsvolle Versprechungen von Wohlstand und Sicherheit gehören fest zum Repertoire. Aber passiert das wirklich nur in der Türkei oder in den fernen USA? Welche Rolle spielt dabei die Wissenschaft? Ein kritischer Blick hinter die Kulissen des deutschen Verkehrs könnte auch unser Weltbild erschüttern. Als Wissenschaftler ist mein Lieblingsbeispiel der so genannte "Ruhende Verkehr". Erfunden wurde er um 1955 als Kombination aus Verkehr und dauerhaftem Abstellen von privaten Autos, wofür Straßen ursprünglich gar nicht vorgesehen waren. Meine Wissenschaftliche Beurteilung: Verkehr bedeutet immer Bewegung, er kann maximal haltend, wartend, stauend oder stockend sein. Dauerhaft ruhenden Verkehr kann es rein wissenschaftlich betrachtet nicht geben. Faktisch handelt es sich um das Abstellen privater Gegenstände im öffentlichen Raum. Es ist insofern diskriminierend, dass diese öffentliche Dienstleistung nur Menschen angeboten wird, die einen Pkw besitzen.

Deutschland hat Ende 2016 mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan das größte Verkehrswegebauprogramm aufgesetzt, das es je gab. In den nächsten Jahren werden mehr Straßen gebaut als unter Hitler oder zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Zur wahren Begründung der 270 Mrd. Euro Investitionsvolumen findet man auf der Website des BMVI wenig Konkretes. Denn die beiden Faktoren, die von der Wichtung her zu über 90% in die Wirtschaftlichkeitsberechnung der neuen Straßenprojekte eingehen sind Reisezeitersparnis und Kraftstoffersparnis. Nun, beim Bau des ersten Gotthard-Straßentunnels mag die Begründung noch nachvollziehbar gewesen sein. Ein Blick auf die bundesweiten Daten zeigt jedoch, dass weder die Reisezeiten noch der Kraftstoffverbrauch in Deutschland zurückgegangen sind, trotz des unermüdlichen Straßenbaus, der genau damit begründet wird. Wir wissen, dass der Mensch seit Urzeiten im Schnitt etwa zwei Stunden am Tag unterwegs ist, ganz unabhängig von den zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln oder Infrastrukturen. Und dass bei höheren Geschwindigkeiten und längeren Strecken weniger Kraftstoff benötigt wird können nur sehr gutgläubige Menschen unhinterfragt stehen lassen. Daher ist es auch schlauer, das Ganze auf der BMVI-Website gar nicht erst zu thematisieren.

Die Ursprünge des in Deutschland nicht möglichen Tempolimits auf Autobahnen wurden übrigens mit der erforderlichen Freiheit zur Verarbeitung der Naziherrschaft begründet. Inzwischen ist die unendliche Geschwindigkeit in die DNA vieler Deutschen übergegangen, so wie die meisten Holländer direkt als Radfahrer geboren werden. Als großer Erfolg der Verkehrssicherheit wird gefeiert, dass wir nur noch 3.200 Verkehrstote im Jahr haben, denn es waren ja auch schon einmal über 20.000. Dass am Berliner Breitscheidplatz etwa so viele Menschen brutal ermordet wurden wie täglich auf deutschen Straßen ist offenbar eine willkommene Ablenkung, um politische Entschlossenheit zu demonstrieren. Bittere Ironie: die Terroropfer wurden von einem Lkw als Tatwaffe umgebracht. Als Wissenschaftler schließe ich faktisch daraus, dass es im Verkehr nicht um die Rettung von Menschenleben geht und kann nur hoffen, dass das Glück mich im öffentlichen Raum weiterhin vor fatalen Situationen beschützt. Dass Umgehungsstraßen Verkehr reduzieren und dass VW beim Dieselskandal nicht geschummelt hat muss ich hier wohl gar nicht erst erwähnen.


Wir lieben Best Practice: Urbane Mobilität bietet viele internationale Vorbilder

Wie werden wir den öffentlichen Raum in Zukunft sinnvoll nutzen?
Wie werden wir den öffentlichen Raum in Zukunft sinnvoll nutzen?

Die urbane Mobilität steht weltweit vor einem durchgreifenden Wandel. Städte stehen vor der Transformation des öffentlichen Raums, von den Modellen der autogerechten Stadt der 1960er und 1970er Jahre hin zu attraktiven, urbanen Lebensräumen für immer mehr Menschen, die inzwischen wieder das Modell der Stadt der kurzen Wege bevorzugen und in die Innenstädte ziehen. Selbst Vorreiterstädte wie Kopenhagen, Amsterdam, Bologna oder Münster, die bereits vor 20 bis 30 Jahren eine entsprechende Richtungsentscheidung getroffen haben, stehen - wenn man die gesamte Stadtfläche betrachtet - in der Umsetzung immer noch relativ am Anfang der Transformation.

Auch in diesen Städten entsprechen etwa 70% bis 80% der existierenden Straßeninfrastruktur noch den Prinzipien der autogerechten Stadt. Allerdings gibt es inzwischen immer mehr gebaute und evaluierte Beispiele für den nach neuen Prinzipien gestalteten urbanen Raum, so dass in den nächsten Jahren mit einer deutlich breiteren Umsetzung zu rechnen ist. Trotzdem gibt es immer mehr gute Beispiele, von denen wir lernen können.

Viele Städte haben noch keine klare Richtungsentscheidung getroffen. Berlin versucht seit Jahren den Spagat zwischen Auto- und Fahrradstadt, der zu immer mehr Konflikten und aggressivem Verhalten der Verkehrsteilnehmer und einen Verlust an Lebensqualität führt. Der wachsende politische Druck wird in den nächsten Jahren auch bei den noch unentschlossenen Städten zu einem echten, breit sichtbaren Wandel führen. Berlin hat mit der Wahl im September 2016 angesichts deutlich gestiegener Unfallzahlen mit vielen getöteten und schwer verletzten Fußgängern und Radfahrern die politischen Weichen für eine Verkehrswende gestellt.


Droge Auto: Macht das Auto süchtig?

Sucht ist Abhängigkeit von einer Substanz oder einem Verhalten. Der Betroffene hat keine Selbstkontrolle mehr
Sucht ist Abhängigkeit von einer Substanz oder einem Verhalten. Der Betroffene hat keine Selbstkontrolle mehr

Wenn ich morgens an endlosen Staus vorbeiradle und in die Autoscheiben schaue sehe ich fast ausnahmslos glücklose Gesichter. Die große unbeantwortete Frage stellt sich mir immer wieder: Warum tun sich das so viele Menschen jeden Tag an? Als Grund wird vieles genannt. Es sei flexibler, schneller, komfortabler, privater, das Kind muss zur Schule, der Einkauf ist zu schwer, das Fahrrad ist kaputt, die U-Bahn-Tickets zu teuer, das Wetter, die kranke Großmutter, die Sporttasche. Sind das die wahren Gründe? Ist die Entscheidung, mal kurz das Auto zu nehmen wirklich so frei, wie immer wieder betont wird? Nur mal angenommen, wir hätten es mit einer Sucht zu tun, die weite Teile der Bevölkerung befallen hat.

Die Caritas definiert Sucht als Abhängigkeit von einer Substanz oder einem Verhalten. Der Betroffene hat keine Selbstkontrolle mehr, er steht unter dem Zwang, mit Hilfe von bestimmten Substanzen (z.B. Alkohol) oder bestimmten Verhaltensweisen (z.B. Glücksspielen), belastende Gefühle zu vermeiden. Unterschieden wird in sogenannte substanzbezogene und verhaltensbezogene Abhängigkeiten. Sucht ist als Krankheit anerkannt. Renten- und Sozialversicherungsträger und gegebenenfalls Träger der Sozialhilfe müssen die Behandlungskosten übernehmen. Vieles kann süchtig machen. Sehr offen wird inzwischen über Internet- und Smartphone-Sucht diskutiert. Macht womöglich auch das Auto süchtig? Die dänische Hauptstadt Kopenhagen bietet für ihre Bewohner, die einen kaum noch zu kontrollierenden Drang zum Autofahren verspüren, eine Pkw-Entziehungskur an. Die Therapie lehnt sich an die Erfahrungen bei Raucher-Entwöhnungskursen an, die Stadt zahlt. Therapiemöglichkeiten in Deutschland? Fehlanzeige.

Beim Rauchen ist es Deutschland gelungen, die kollektive Sucht in den Griff zu bekommen. Deutschland war allerdings nicht Vorreiter sondern nur Mitläufer in einem Trend der entwickelten Länder. Dass Alkohol abhängig machen kann ist auch bekannt. Würde Alkoholkonsum stark eingeschränkt, etwa durch höhere Steuern, was würde dann aus den vielen Brauereien, Winzern und Brennereien in Deutschland? Und dem Oktoberfest? Es sind nicht nur Genussmittel, auch Konsum kann süchtig machen. Konsum kann Menschen in gnadenlose Verschuldung treiben, angefeuert durch gesellschaftlichen Druck und die Verlockungen aus der Werbung, die gebetsmühlenartig Glück, Wohlstand, Erfolg und Status verspricht. Die Realität sieht anders aus. Versuche, Menschen vor Konsumsucht zu schützen sind meistens zum Scheitern verurteilt. Denn die Kollision mit wirtschaftlichen Interessen ist zu groß. In Deutschland sind wir weit davon entfernt, Autosucht als Krankheit anzuerkennen und geeignete Therapien anzubieten. Zu mächtig sind die von der Sucht profitierenden Konzerne, zu groß die Ängste vor mehr Auto-Abstinenz. Ohne ernsthafte Versuche, die Autosucht als solche zu erkennen bleibt das Auto die blecherne Droge für die Betroffenen, und ein gefährliches, unheilbares Krebsgeschwür in unseren Städten, zulasten von Mensch, Umwelt und Klima.


Vision für ein paradiesisches Leben oder wie wir den industriellen Druck ablassen können

Wir sind schon sehr nah dran am Paradies. Wie können wir es erreichen?
Wir sind schon sehr nah dran am Paradies. Wie können wir es erreichen?

Wenn wir uns fragen, warum es so schwer ist lebenswerte Städte umzusetzen und Mobilität vernünftig zu organisieren schimpfen wir gerne über die Autolobby und die Baulobby. Aber versetzen wir uns mal in die Lage von Top-Managern, Spitzenpolitikern und Investoren, die von der Automobilindustrie oder vom Straßenbau profitieren. Sicher sind es Gier und eigene Wertvorstellungen, die sie antreiben. Es steht außer Frage, dass diese Branchen uns zu einem nie dagewesenen materiellen Wohlstand verholfen haben. Die technischen Möglichkeiten, zu Reisen und damit ein Freiheitsgefühl zu haben waren nie besser. Über der Gier und Wertvorstellungen liegt jedoch der eigentliche Treiber. Es ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das uns seit 200 Jahren diesen enormen materiellen Reichtum ermöglicht. Doch immer mehr Menschen stellen sich die Frage, wann dieses System seine Grenze erreicht oder ob sie vielleicht schon überschritten ist.

Die Kehrseite der einseitigen Fokussierung auf wirtschaftliches Wachstum ist Schrumpfung in zwei anderen für den Menschen lebenswichtigen Säulen. Zum einen haben wir immer weniger Platz. Das zeigt sich nicht nur bei der Abholzung des Amazonasgebiets durch die Fleischindustrie sondern auch vor der eigenen Haustür. In Großstädten wird der Verteilungskampf um den begrenzten öffentlichen Raum zunehmend aggressiver. Zum anderen leidet der soziale Zusammenhalt unter dem kapitalistischen System. Echte Freunde und Familienangehörige, die auch in Notsituationen bedingungslos zueinander stehen werden immer seltener. Wie könnte also ein Gesellschaftmodell aussehen, das wieder ein Gleichgewicht zwischen den drei Säulen herstellt? Der Schlüssel dazu liegt vermutlich in der Arbeit. Das kapitalistische Modell hat die Menschen erst dazu motiviert, enorm produktiv zu arbeiten. Arbeit zu haben ist heute Selbstzweck oder wirtschaftliche Notwendigkeit, die über dem Sinn und der Freude bei der eigentlichen Tätigkeit stehen.

Das kapitalistische Modell treibt gleichzeitig zu immer mehr Effizienz und damit zu einer Abschaffung vieler heutiger Arbeitsplätze. Zunehmende Automatisierung und Digitalisierung lassen in den nächsten Jahrzehnten ungekannte Produktivitätssprünge erwarten. Eine Autofirma, die heute mit 500.000 Mitarbeitern zehn Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert wird mit 3D-Druck, Flexpicker-Roboter, Industrie 4.0, Internet der Dinge, Blockchain Technologie und künstlicher Intelligenz zwanzig Millionen Fahrzeuge produzieren müssen, um die gleiche Anzahl Arbeitsplätze zu erhalten. Die Fahrzeuge nehmen den Menschen dann wiederum noch mehr Platz weg, sie brauchen Parkplätze und Straßen und schränken so die ursprünglich beabsichtigte Freiheit ein. Ein Teufelskreis. Unser Lösungsansatz: Wir setzen Wachstum nicht mehr nur mit „mehr Dinge“ gleich sondern auch mit „mehr Platz“ und „mehr Freunde“. Dafür bedarf es neuer Verrechnungssysteme, die mit entsprechenden Wertvorstellungen angetrieben werden. Ein kleines Grundeinkommen könnte in Industriegesellschaften ein geeigneter Weg sein, um den Druck immer mehr Dinge zu produzieren abzulassen und den Menschen Zeit für Engagement für mehr Raum (Bewahrung der Umwelt) und für mehr Freunde (Soziales Miteinander) zu geben. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit läge dann vielleicht nur noch bei 5 Stunden. Man könnte es auch als Weg zum Paradies bezeichnen – es liegt zum Greifen nah. Doch kann der Mensch es jemals erreichen? Download Konzept